Reisealbum

Als Gegenstand künstlerischen Schaffens sind reale Orts- und Landschaftsbilder ("Veduten") im 16. Jahrhundert ein noch relativ neues Genre. Mensch und Raum werden im Mittelalter formelhaft und stereotyp gestaltet. Erst die Renaissance bringt in der darstellenden Kunst auch die Entdeckung der Stadt in ihrer Einmaligkeit. Deutlich spiegeln dies die Federzeichnungen in Ottheinrichs Reisealbum. Sie entstanden auf der Grundlage von Skizzen, die ein anonymer Künstler vor Ort anfertigte, wurden später als Federzeichnungen ausgeführt, mit Wasser- und Deckfarben ausgemalt und mit Goldhöhung versehen. Überwiegend handelt es sich bei den fünfzig Ansichten um die frühesten bekannten Darstellungen der besuchten Orte überhaupt. Die Ortsansichten sind in der Regel wirklichkeitsgetreu und somit eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion heute verschwundener Bauten. In diesen realistischen Grundcharakter mischen sich aber auch bewusst eingebaute Elemente der Komposition und Akzentuierung: Bauwerke werden übergroß dargestellt, Distanzen zwischen Gebäuden und Orten werden gerafft oder gestreckt, Versatzstücke tauchen als Rahmen auf (im Hintergrund Berge, im Vordergrund Hohlwege, Bäume usw.), nur einige wenige Blätter geben eine Winterlandschaft wieder, wie sie sich dem Reisenden in Wirklichkeit präsentiert haben muss. Alle Ortsansichten sind durch ein Schriftband gekennzeichnet. Auf die Residenz Ottheinrichs weist die besondere Beschriftung des Blattes Neuburg hin: "D.F.S. Nevburg" - "Die Fürstliche Stadt Neuburg". Die fünfzig Einzelblätter wurden bis zur Restaurierung in einem aus dem Kloster Ebrach stammenden Sammelband aufbewahrt. Wann der Sammelband zusammengestellt wurde, ist nicht bekannt. Einer Forschergruppe um Angelika Marsch, Josef Biller und Frank-Dietrich Jacob gelang 2001 der Nachweis für den Zusammenhang zwischen der Polen-Reise Ottheinrichs und der Ansichtenfolge.